PASOLINI im FRIAUL

Pier Paolo Pasolini
Vita
Ein Portrait von Massimiliano Valente und Angela Molteni
Übersetzung von Monika Lustig
2
3
4
5
6
7
PASOLINI im FRIAUL

Pier Paolo Pasolini erblickt am 5. März 1922 in Bologna als erster Sohn des Infanterieleutnants Carlo Alberto Pasolini und der Grundschullehrerin Susanna Colussi das Licht der Welt. Der Vater, Spross einer alteingesessenen Familie aus Ravenna, deren Vermögen er verprasst hat, heiratet Susanna im Dezember des Jahres 1921 in Casarsa. Das Ehepaar zieht bald darauf nach Bologna um. 

"Ich bin in eine für die italienische Gesellschaft typische Familie hineingeboren: Ich bin das Ergebnis einer echten Kreuzung, Produkt des Italienischen Einheitsstaates. Mein Vater stammt aus einer alten Adelsfamilie aus der Romagna, meine Mutter hingegen kommt aus einer Bauernfamilie aus dem Friaul, die sich allmählich bis in den Kleinbürgerstand hochgearbeitet hat. Seitens des Vaters meiner Mutter verdienten sie sich den Lebensunterhalt mit Schnapsbrennen. Meine Großmutter mütterlicherseits war Piemonteserin, was sie aber nicht daran hinderte, gleichermaßen auch Familienbindungen nach Sizilien und in die Gegend um Rom herum zu haben" (1)

In Bologna hält es die Familie Pasolini nicht lange: Sie ziehen um nach Parma und weiter nach Conegliano, Belluno, Salice, Idria, Cremona, wieder Bologna und in andere norditalienische Städte. 

"Sie haben einen Nomaden aus mir gemacht. Ich zog von einem "Lager" zum Nächsten, ich hatte keinen heimischen Herd."

Im Jahr 1925 in Belluno kommt sein Bruder Guido zur Welt.

Angesichts der zahlreichen Umzüge wird Casarsa zum einzigen festen Bezugspunkt der Familie Pasolini.

Pier Paolo lebt mit der Mutter in einer symbiotischen Beziehung, wohingegen  die Konflikte mit dem Vater immer schärfer werden.

"Jeden Abend sah ich voller Schrecken der Essenszeit entgegen, wenn es wieder zu hässlichen Szenen kommen würde (...). In meinem Innern hat eine anfängliche Verdrängung der Figur der Mutter stattgefunden, die eine Kindheitsneurose bei mir ausgelöst hat. Aufgrund dieser Neurose wurde ich unruhig, es war eine derartige Unruhe, die jeden Moment meines Daseins in Frage stellte. (...) Als meine Mutter kurz vor der Entbindung meines Bruders stand, begann ich unter Juckreiz an den Augen zu leiden. Mein Vater packte mich dann und hielt mich fest, er drückte mich auf dem Küchentisch nieder, öffnete mit seinen Fingern mein eines Auge und träufelte Augentropfen hinein. Und dieser symbolgeladene Moment stellte den Anfang des Erlöschens meiner Liebe zu meinem Vater dar." (2)

Über seine Mutter sagt er:

"Sie erzählte Geschichten, las mir Märchen vor. Meine Mutter war für mich wie Sokrates. Sie hatte eine Weltanschauung, die sicherlich idealistisch und idealisierend zu nennen ist. Sie glaubte wahrhaftig an das Heldenhafte im Menschen, an Nächstenliebe, Mitleid, Großzügigkeit. All das habe ich auf beinahe krankhafte Weise in mich aufgesogen." (3)

Mit seinem Bruder Guido lebt er eine freundschaftliche Beziehung. Der jüngere Bruder hegte eine richtiggehende Verehrung für den älteren: Dieser war gut in der Schule und auch bei den spielerischen Wettkämpfen mit den anderen Jugendlichen. Seine bewundernde Haltung gegenüber dem Bruder behält Guido bis zum Tag seines frühzeitigen Todes bei. 

Die ersten Schuljahre Pier Paolos sind gekennzeichnet von zahlreichen Umzügen, die trotz allem seine schulischen Leistungen nicht beeinträchtigen. Er wird ein Jahr früher in die Grundschule eingeschult. 1928 hat er sein Exploit als Dichter: Pier Paolo schreibt eine ganze Reihe von Gedichten in ein kleines Schulheft, zu denen er Zeichnungen macht. Doch dieses erste Heft, dem andere folgen, geht in den Wirren des Krieges verloren.

Er schafft es von der Grundschule auf die Höhere Schule, die er in Conegliano besucht. 

In diesen Jahren kommt es zu dem Schritt, der als Teta veleta bekannt wird und den Pasolini später wie folgt definiert:

"Es war in Belluno, ich war rund drei Jahre alt. Von den jungen Burschen, die im Stadtpark gegenüber meinem Elternhaus spielten, traf  mich mehr als alles andere deren Beine, und insbesondere die Kniekehlen, wo sich beim Rennen die Sehnenstränge im geknickten Bein heftig und auf elegante Weise anspannen. Ich sah in diesen losschnellenden Nerven− und Sehnensträngen ein Symbol des Lebens, das ich erst noch erreichen musste: sie stellten für mich in dieser Bewegung des jungen Läufers das Erwachsenwerden dar. Heute weiß ich, dass es auch eine stark sinnliche Empfindung war. Wenn ich das Gefühl wieder in mir heraufbeschwöre, dann verspüre ich genau wie damals im Bauch die Rührung, das herzzerreißende und heftige Begehren. Es war das Gefühl des Unerreichbaren, der Fleischeslust − ein Gefühl für das noch kein Name gefunden war. So erfand ich einfach einen, nämlich "teta veleta". Bereits beim Anblick der geknickten Beine in der Hitze des Spiels sagte ich zu mir, dass ich "teta veleta" empfand, so etwas wie ein Kitzel, eine Verführung, etwas Beschämendes." (4)

Später wird Pasolini selbst erläutern:

"Meine Kindheit endete im Alter von 13 Jahren. Wie bei allen anderen auch: Mit dreizehn beginnt das Kind z u altern, und aus diesem Grund ist das ein Moment großer Weisheit. Es war eine glückliche Zeit für mich. Ich war der Schulbeste. Der Sommer 1934 nahm seinen Verlauf. Ein Abschnitt meines Lebens ging zu Ende, ich schloss eine Erfahrung ab und war bereit, mich auf eine neue einzulassen. Diese Tage, die dem Sommer 1934 vorausgingen, waren  mit die schönsten und ruhmreichsten meines ganzen Lebens." (5)

Pier Paolo macht sein Abitur und schreibt sich mit nur 17 Jahren an der Geisteswissenschaftlichen Fakultät der Universität Bologna ein. Bereits zu Gymnasiumszeiten bildet er zusammen mit Luciano Serra, Franco Farolfi, Ermes Parini (dessen Vorname wird Guidos Kampfname in der Partisanentruppe in der Osoppo), Fabio Mauri eine Literatenrunde zur Diskussion über Dichtung. Er arbeitet mit an "Setaccio", der Zeitschrift der Bologneser GIL (=Gioventù Italiana del Littorio − Italienische Faschistenjugend). In dieser Zeit schreibt Pasolini Gedichte in Furlanischem Dialekt und auf Italienisch, die in einem ersten Band unter dem Titel Gedichte in Casarsa zusammengefasst sind. Dann wird er Mitarbeiter in der Redaktion der Zeitschrift "Stroligut", an der Seite anderer Literaten aus dem Friaul; mit ihnen gründet er die Academiuta di lenga furlana − die Akademie für die Furlanische Sprache. Der Dialekt stellt eine Art Widerstand gegen das Faschistische Regime dar.

"Der Faschismus duldete die Dialekte nicht, sie waren Zeichen/der irrationalen Einheit dieses Landstrichs, in dem ich geboren bin/unerhörte und schamlose Realitäten im Herzen der Nationalisten!" (6)

Der Gebrauch des Dialekts bedeutet überdies einen Versuch, der Katholischen Kirche nicht die alleinige Kulturherrschaft über die rückständigen Gesellschaftsklassen zu überlassen. 
Während in der Tat die politische Linke den Gebrauch der italienischen Sprache vorzieht, ist − abgesehen von einigen sporadischen Fällen von Radikalismus, ist die Verwendung des Dialekts ein Privileg des Klerus; Pasolini unternimmt den Versuch, auch in der Linken eine gründliche Auseinandersetzung mit dem Dialekt als kulturellem Instrument voranzutreiben. 

Die Rückkehr nach Casarsa während seiner Universitätsjahre stellt für Pasolini die Rückkehr an einen Ort des Glücks dar. Im April 1947 schreibt er an Silvana Ottieri: 

"Dass es Ostersamstag war, ließ mich kalt. Aber du hättest die Farben am Horizont und auf den Feldern sehen müssen! Als der Zug in Sacile hielt, inmitten eines undurchdringlichen Schweigens (....) habe ich erneut die Kirchenglocken gehört. Dort hinterm Bahnhof von Sacile Richtung Wiesen und Felder tat sich eine Straße auf, die ich während meiner Kindheit durchlaufen habe, oder vielleicht will mir das nur so scheinen, und ich habe es geträumt..."

   
 
.


Biographie

La nuova gioventù, 1975

Pier Paolo Pasolini,
Ali mit den Blauen Augen.
Erzählungen
(Alì dagli occhi azzurri. Racconti)

Affabulazione - Prologo

Die Haus des Pier Paolo Pasolini
Casarsa della Delizia, Pordenone

Photo












 


PASOLINI im FRIAUL

Der Tod bedeutet nicht die Unmöglichkeit zu kommunizieren, sondern nicht mehr verstanden zu werden

Home